„Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen“. Diesen Eindruck haben viele Bürgerinnen und Bürger in der heutigen Zeit. Bankberater helfen bei der Steuerhinterziehung, Menschen und Umwelt kommen zu Schaden, weil an der falschen Stelle gespart wurde, Beamte werden bestochen, damit die Firma den Auftrag erhält. Man nennt dies Wirtschaftskriminalität. Meist werden nur die „kleinen Fische“ belangt, die dahinterstehende Firma hingegen muss allenfalls mit einem Ordnungsgeld rechnen. Der Einzelne als „Bauernopfer“ kann zwar für persönliches Fehlverhalten strafrechtlich zur Rechenschaft gezogen werden, in der Regel nicht jedoch das Unternehmen, für das er arbeitet. Haftungsrisiken sind für viele mittelständische und multinationale Konzerne versicherbar und steuerlich abzugsfähig.
Im internationalen Vergleich hängt Deutschland dem Standard hinterher. Die OECD und die EU fordern seit langem, auch Unternehmen strafrechtlich zu belangen. Viele unserer Handelspartnerländer haben bereits ein Unternehmensstrafrecht. Deutschland bekämpft die Wirtschaftskriminalität bisher hingegen mit dem Ordnungswidrigkeitenrecht, also demselben Recht, das auch für Falschparker gilt.
Vor diesem Hintergrund hat das Land NRW einen Entwurf für ein „Gesetz zur Einführung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Unternehmen und sonstigen Verbänden“, Verbandsstrafgesetzbuch, vorgelegt. Im November 2013 hat die deutsche Justizministerkonferenz beschlossen, diesen Entwurf in den Bundesrat einzubringen und damit das Gesetzgebungsverfahren einzuleiten. Zukünftig soll es damit möglich sein, nicht nur den einzelnen Mitarbeiter strafrechtlich zu belangen, sondern auch seinen Arbeitgeber, die Firma. Stiftet z.B. der Vorstand einer Bank die Mitarbeiter zur Steuerhinterziehung an, kann auch gegen die Bank ein Strafverfahren eingeleitet werden. Das Unternehmen selbst soll damit in das Zentrum der Strafverfolgung rücken. Als Strafen sind u.a. Geldstrafen (Verbandsgeldstrafe) geplant, da man ein Unternehmen selbst nicht ins Gefängnis stecken kann. Diese Geldstrafe darf bis zu 10 % des durchschnittlichen Gesamtumsatzes des Unternehmens betragen. Ferner droht der Ausschluß des Unternehmens von der Vergabe öffentlicher Aufträge.
Seitdem ist in der juristischen Fachwelt eine heftige Diskussion entbrannt, ob man mit Mitteln des Strafrechtes, welches derzeit als Allheilmittel gegen alles gilt, die Unternehmen dazu anleiten kann, ordentlich und gesetzestreu zu wirtschaften und zu handeln. Das geflügelte Stichwort dazu lautet „Compliance“. Die Gegenmeinung stellt darauf ab, dass das bestehende Ordnungswidrigkeitenrecht ausreichend sei und nur etwas angepasst werden müsse.
Auf Einladung der „Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Juristinnen und Juristen“ (ASJ) im Unterbezirk Ruhr-Mitte stellte NRW - Justizminister Thomas Kutschaty (SPD) am 26.02.2014 im SPD-Bürgerbüro in Gladbeck den in seinem Ministerium ausgearbeiteten Entwurf der ASJ Ruhr-Mitte sowie interessierten Bürgerinnen und Bürgern vor. Nach einer Begrüßung durch den örtlichen Landtagsabgeordneten Michael Hübner (SPD) und den Vorsitzenden der ASJ Ruhr-Mitte, Rechtsanwalt und Notar Bernd Freer (Dorsten), erläuterte Minister Kutschaty auf der gut besuchten Veranstaltung, an der u.a. auch Gladbecks Bürgermeister Ulrich Roland (SPD) teilnahm, Zielsetzung und Details des Gesetzes. Im Anschluß daran entwickelte sich eine intensive und interessante Diskussion zwischen dem Minister und den zahlreichen Zuhörern. Dies lag auch daran, dass sowohl Juraprofessoren als auch renommierte Praktiker anwesend waren. Namentlich genannt seien: Prof. Dr. Sabine Swoboda, Jun-Prof. Dr. Osman Isfen (beide Ruhr-Universität Bochum), die neue Leitende Oberstaatsanwältin Petra Berger-Zehnpfund (Staatsanwaltschaft Bochum) sowie der auch aus der überörtlichen Presse bekannte Strafverteidiger Rechtsanwalt Siegmund Benecken (Marl). Die Diskussion beleuchtete sowohl die rechtstheoretischen, dogmatischen als auch rein praktischen Fragestellungen. Auch die Zuhörer ohne rechtwissenschaftlichen Hintergrund konnten gut folgen und hatten nicht das Gefühl, ein juristisches Seminar zu besuchen. So wie im juristischen Schrifttum die geplante Neuerung umstritten ist, bestand zwar grundsätzlich Konsens, dass das Ziel des Gesetzes zu begrüßen sei; intensiv wurde aber zugleich diskutiert, ob man dazu nicht das bestehende Ordnungswidrigkeitengesetz anpassen könne oder ob der Entwurf für das Unternehmensstrafrecht so umsetzbar sei. Abzuwarten bleibt, wie der Gesetzentwurf in der breiten Öffentlichkeit aufgenommen werden wird. Im Herbst 2014 soll es dazu eine öffentliche Anhörung in Berlin geben. Minister Kutschaty bedankte sich abschließend für die intensive Diskussion und die zahlreichen Anregungen.
Datteln, 03.03.2014, Falco Böhlje
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